Rasen mähen, Kanten setzen, Zäune streichen: Wohl in keinem Jahr der jüngeren Geschichte nahmen sich die Menschen so viel Zeit für das eigene Zuhause. Der Begriff „Cocooning“ erfindet sich neu.

 

2020 - der Gartensommer„Cocooning“ ist das, was Trendforscher schon lange vor Corona beobachtet haben. Die Menschen entfliehen ihren immer hektischer werdenden Alltag dadurch, in dem sie sich ins eigene Zuhause zurückziehen. Die vertraute Umgebung lässt Stress verschwinden und ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit entstehen. „Cocooning“ ist prinzipiell etwas Alarmierendes, weil es im Umkehrschluss sagt, dass unsere Gesellschaft mit der Bevölkerung schlecht umgeht. Mobbing, Termindruck, Leistungsdruck – das ist besorgniserregend.
2020 ist „Cocooning“ sogar staatlich empfohlen worden. „Bleiben Sie zuhause!“ ist der Satz des ersten Halbjahres und gleichzeitig Slogan einer neuen Bewegung. Die Menschen haben die Schönheit ihrer eigenen Wohnumgebung wiederentdeckt. Sie bleiben tatsächlich Zuhause und machen es sich dort nett und gemütlich. So manches Wohnzimmer ist in den vergangenen Wochen renoviert — oder manche Küche neu gekauft worden. Jetzt ist der Garten an der Reihe und weil für viele der Urlaub ausfällt, steckt man das gesparte Geld unter anderem gerne in neues Mobiliar. Die neue Bestuhlung für den Balkon oder die Terrasse kauft sich momentan günstig. Das gilt auch für den Strandkorb im Garten oder die Beschattung im Wintergarten. In den Möbelhäusern herrscht hinsichtlich des Außenmobiliars eine enorme Nachfrage. Auch Accessoires sind schwer gefragt. Dieses reicht zum Beispiel von der Gartenfackel bis zum Brunnen. Beides wirkt beruhigend und zeigt auch hier, wie sehr „Cocooning“ boomt.

2020 - der GartensommerBewegung in den Gärten
Ich mache den Test und gehe an einem Samstagnachmittag durch meinen Wohnort. Dort treffe ich auf Menschen, die Rasen mähen, eine Garagenwand streichen oder die Platten ihres Weges mit einem Kärcher von Schmutz befreien. Ein Mann pflückt vertrocknete Blüten aus einer Rhododendren und eine Frau streicht ihre Gartenliege aus Teak-Holz. In den Gärten ist einiges zu tun. Und beim anschließenden Besuch im Möbelmarkt treffe ich auf Leute, die sich für Gartensessel oder Ampelschirme interessieren. Ich werde das Gefühl nicht los, dass sich die Menschen eine neue Gemütlichkeit wünschen und auch bereit sind, darin zu investieren. Das Bewusstsein für die schönen Dinge im Leben ist größer geworden. Warum soll man sich das Leben eigentlich nicht so angenehm wie möglich machen? Die Frage stellt sich einfach.

2020 - der GartensommerDie Lust am Genuss wächst
Und die Antwort bekomme ich auch. Bei meinem Spaziergang durch den Ort sehe ich so einige Leute, die mit ihren Büchern im Liegestuhl oder Strandkorb verweilen; manche beschäftigen sich auf der Terrasse mit ihrem Smartphone oder schauen Filme auf dem Laptop. Kinder plantschen in Pools und Erwachsene relaxen auf einer Hängematte.
Der Sommer 2020 – das ist der, in dem den Menschen das eigene Zuhause wieder bewusster wird. Vielleicht wird er auch gerade deshalb später in die Geschichte eingehen. Es ist eine völlig neue Form von „Cocooning“, dem die Gesellschaftsforscher durchaus auch kritisch gegenüberstehen. Ist es das „Zurückziehen in die eigenen vier Wände“, weil einem die anderen Menschen auf den Nerv gehen? Oder ist es Bequemlichkeit? Es gibt auch Theorien, die verbinden mit diesem Begriff eine gewisse Gleichgültigkeit. Ich denke nicht, dass es so ist. Corona verlangt uns einiges ab. Deshalb ist es auch völlig okay, wenn Menschen in dieser Zeit den Schutz ihres eigenen Zuhauses schätzen lernen. „Cocooning“ ist nichts Negatives. Die Wohnung oder das Haus sind Orte, die wir uns gewählt haben. Sie möglichst schön zu gestalten, ist normal. Und das macht im Sommer besonders Spaß.