Sport

Interview: Eine Sportverletzung hat Matthias Kranz 2013 zu seinem Beruf als Physiotherapeut geführt. Und in dem geht der 22-Jährige richtig auf.

„Der Kopf macht viel aus“

Interview Matthias Kranz September 2019

Matthias Kranz ist Physiotherapeut und verfolgt den ganzheitlichen Ansatz. „Der Kopf macht viel aus“, sagt er – und 80 Prozent aller Beschwerden oder Verletzungen hätten eine psychische Ursache. Deshalb geht der Mindener in seiner Arbeit intensiv auf den jeweiligen Typ ein und schaltet bei Bedarf einen Mentalcoach ein. Die Handballer von Lit Tribe Germania setzen auf den früheren GWD-Spieler, der seine Berufung gefunden hat.

 

Interview Matthias Kranz September 2019Herr Kranz, wie viel Seele steckt in Verletzungen?
Sehr viel – und Beispiele finden sich im Sport oft. Viele verletzen sich zu Zeiten, in denen sie gerade mental sehr angespannt sind. Auslaufende Verträge, Stress in der Familie oder der Erwartungsdruck machen anfällig. Deshalb ist es auch so wichtig, ein Gleichgewicht im Körper herzustellen.

Sie setzen auf Ursachenforschung.
Genau. Und dafür nehme ich mir eine Menge Zeit. Ich lerne den Menschen kennen und möchte auch möglichst viel über ihn erfahren. Denn gerade in den seelischen Belastungen des Alltags steckt ein Risiko. Und wir wissen ja, dass der Leistungsdruck immer mehr zulegt. Das geschieht überall.

Wenden Sie sich ausschließlich an Sportler?
Nein, an alle Menschen. Die Ursachen statt die Symptome zu bekämpfen, ist in jeder Lebenslage und in jedem Alter möglich. Zu mir kommen auch Senioren und ich kenne ein paar gute Beispiele, dass die Behandlung von Erfolg gekrönt ist. Um dem Körper etwas Gutes zu tun, ist es nie zu spät.

Sie sind unter anderem auch Personaltrainer und Ernährungsberater. Wer zu Ihnen kommt, läuft Gefahr, sein Leben total umkrempeln zu müssen.
So ist das nicht. Natürlich ist eine ungesunde Lebensweise nichts, was man beibehalten darf. Aber die Schritte in die richtige Richtung sind so klein, dass man sie locker schaffen kann. Es geht nicht um Verzicht sondern darum, die Einstellung zu ändern. Von jetzt auf Gleich muss niemand auf alle seine Laster verzichten.Wichtig ist, dass der Erfolg von Dauer ist.

Interview Matthias Kranz September 2019Hat sich die Physiotherapie verändert?
Ja, sie ist umfassender geworden. Früher bezog sich alles rein auf den Körper. Inzwischen betrachtet man den Menschen insgesamt. Es sind so viele Faktoren, die zusammenkommen können.

Dafür müssen sich die Menschen Ihnen gegenüber aber auch öffnen.
Das ist so – und sogar für den Behandlungserfolg ganz entscheidend. Ich unterliege natürlich der Schweigepflicht.

Und wenn Sie merken, dass seelisch zu viel im Argen ist?
In diesen Fällen leite ich meine Patienten an einen Mentalcoach weiter.

Sie kommen vom Handball und betreuen die ersten Mannschaften von LiT Tribe Germania. Also Dritte Liga und Oberliga. Ist Sport Ihr Schwepunkt?
Die Arbeit mit den Handballern von LiT macht mir enorm viel Spaß. Denn die Physiotherapie wird im Sport immer wichtiger, weil die körperlichen Anforderungen so hoch sind, dass die Spieler oft bis ans absolute Limit gehen müssen. Wir arbeiten sehr erfolgreich zusammen und ich ziehe aus der Zusammenarbeit auch wichtige Erfahrungen. Ich will mich fachlich noch weiterentwickeln und bin sehr neugierig auf das, was kommt.

Interview Matthias Kranz September 2019Ein Kreuzbandriss hat Ihre Karriere bei GWD beendet. Wie sehr trauern Sie dem aktiven Sport hinterher?
2013 ist das passiert und in diesem Moment wusste ich sofort, dass etwas Schlimmes geschehen ist. Als ich 15 war, bin ich in die GWD-WG in der Drabertstraße gezogen und mein Alltag war professionell organisiert und bestand aus Training und Schule. Damals ging ich aufs Besselgymnasium, wo ich 2015 auch mein Abitur gemacht habe. Ich habe von der B- bis in die A-Jugend bei GWD gespielt und hätte gerne noch weiter gemacht.

Durch die Verletzung sind Sie aber auch mit der Physiotherapie in Kontakt gekommen. Ein kleiner Wink des Schicksals?
Womöglich sollte das so sein. Dadurch habe ich einen Beruf gefunden, der mich rundum erfüllt. Ich helfe gerne anderen.

Kann es sein, dass Sie durch Ihre eigenen Erfahrungen ein besonderes Feingefühl für die Situation von verletzten Sportlern bekommen haben?
Auf jeden Fall, denn ich kann mich in deren Lage gut hineinversetzen. Ich kenne dieses Gefühl der Hilflosigkeit, wenn man verletzt ist. Für einen Sportler sind solche Situationen die Höchststrafe.

Was mich zum Schluss noch interessiert: Als Physiotherapeut sind Sie darauf geschult, die Körperhaltung anderer Menschen einzuschätzen. Man begegnet doch ständig Menschen? Können Sie überhaupt abschalten?
Ich weiß, dass so etwas vielen Berufen nachgesagt wird. Klar könnte ich mir auch Gedanken über die Haltungsprobleme von Menschen machen, die mir zufällig auf der Straße begegnen. Aber ich kann das außerhalb der Praxis ganz gut ausblenden. Und das ist auch gut so, denn wir wissen ja alle, dass nahezu jeder Mensch heutzutage Probleme mit dem Rücken hat.