Tempo, Tempo, Tempo!
Finns Med Journey: news-Redakteur Finn Luca Zell über sein Medizinstudium
Liebe Leute, ich mach’s kurz (allzu viel Zeit habe ich ehrlich gesagt auch nicht, um diesen Tagebucheintrag zu schreiben – verzeiht, wenn es kein Meisterstück meines journalistischen Daseins wird): Ich war mir des unfassbaren Pensums des Medizinstudiums vorher bewusst, weniger aber des unfassbaren Tempos. Die Tage fliegen quasi an mir vorbei (an „uns“ vielmehr, denn glücklicherweise geht es nicht nur mir so). Irgendwie kommt es mir so vor, als wäre es permanent Montag. Oder halt viel zu schnell immer wieder – das kommt auf die Betrachtungsweise an.
Letzten Monat hatte ich Euch bereits berichtet, was in diesem Semester auf meinem Plan steht: Biologie, Cytologie, Chemie, Anatomie, Medical Ethics, Physik, Latein, Bulgarisch. Hätte mir vor zehn Jahren jemand gesagt, Latein und Bulgarisch wären mal die Fächer, die mich am wenigsten fordern – denjenigen hätte ich vermutlich ausgelacht. Egal. Selbstverständlich haben wir mittlerweile all unsere Professoren kennengelernt und ich muss wirklich drei Mal auf Holz klopfen: Die sind alle SUPER. In jedem Kurs haben wir in unseren Kleingruppen praktische Seminare, in denen wir das erlangte Wissen a) praktisch anwenden und b) unseren eigenen Lernfortschritt überprüfen und ggf. Rückfragen stellen können. Ich habe keine Referenz, gehe jedoch davon aus, dass das an deutschen Unis nicht anders sein wird. ABER: Wer einen Blick auf das World University Ranking wirft, der wird schnell etwas feststellen. Zwar findet sich die Medical University of Sofia im internationalen Vergleich „nur“ im Bereich 801 bis 1000 wieder – jedoch offenbart ein Blick in die weiteren Statistiken etwas sehr Interessantes: Unter „Number of students per staff“ wird für die MUS ein Wert von 5,7 angegeben, meint: rund sechs Studenten pro Universitätsmitarbeiter. An zum Beispiel der Universität Hamburg kommen auf einen Mitarbeiter ganze 59 Studenten.
Währenddessen sitzen wir in unserer aus acht Mitgliedern bestehenden deutschen Kleingruppe im Anatomiesaal, haben nach vier Wochen alle Knochen des menschlichen Körpers in der Hand gehabt und mit unserem topausgebildeten Professor durchgesprochen. Oder in Biologie unzählige Parasiten mikroskopiert (ohne weiter ins Detail zu gehen, kann ich Euch dazu sagen: Ich gehe jetzt anders durchs Leben). Keineswegs soll das die deutsche Lehre verunglimpfen (wer bin ich auch, das zu tun), jedoch bin ich immer wieder überrascht, wie engagiert unsere Professoren sind. Und wenn ich das mit Geschichten abgleiche, die ich aus Deutschland höre …
Mittlerweile hat sich auch meine Tagesstruktur eingependelt. Unabhängig vom Tag geht es um 3.30 Uhr raus aus dem Bett, dann gibt es direkt ohne Umschweife die erste Lerneinheit des Tages. Je nach Wochentag beginnt unser Pflichtprogramm zwischen 8 und 11.30 Uhr – was mir sehr zugutekommt, weil ich mein Lernpensum für den Tag gerne schon am Morgen erledigt habe. Am besten lernen kann ich seit einigen Jahren immer in der Früh, wenn alle noch schlafen und es schön ruhig ist (geht auch nicht anders, weil ich direkt an einer der Hauptverkehrsadern Sofias wohne). Ist die erste Lernsession beendet, gibt es Frühstück, dann geht es zur Uni. Laut Wochenplan endet der längste Tag am Dienstag um 17.15 Uhr mit drei Stunden Bulgarisch, was bis heute jedoch nicht einmal geschehen ist. Unsere Professoren sind größtenteils sehr flexibel, was die Seminare angeht. Haben wir kein anderes Programm und sie auch nicht, ist es kein Problem, Kurse zu verschieben.
Seminare dürfen wir pro Kurs und pro Semester übrigens nur jeweils zwei versäumen – egal aus welchem Grund. Wer öfter fehlt, muss sich vor dem Dekan verantworten – das will niemand. Mit den Vorlesungen sieht das anders aus, die sind allesamt freiwillig. Hier hat sich schnell herauskristallisiert, dass für mich nur die Anatomie-Vorlesungen einen Mehrwert haben. Frontalunterricht ist für mich schlicht nicht zielführend, das habe ich schon in der ersten Woche gemerkt.
Zumal: Wenn ich zu jeder Vorlesung gehen würde, hätte ich quasi keine Zeit mehr, um selbst zu Hause zu lernen. Und die brauche ich wirklich, um das immense Tempo mitzuhalten. Einige Leserinnen und Leser werden jetzt wahrscheinlich lachen, aber mein Kopf ist mit 27 auch nicht mehr der jüngste. Auf den Boden der Tatsachen wurde ich erst gestern geholt: Wir haben festgestellt, dass meine Kommilitonen in der zweiten Klasse waren, als ich 2014 meinen Führerschein gemacht habe. Schönen Dank auch …
So – ich muss jetzt wirklich wieder weitermachen. Wir haben zwar morgen einen Uni-internen Feiertag, ich gehe aber trotzdem wie immer um 20 Uhr ins Bett. Und bis in zwei Stunden schon wieder Schlafenszeit ist, muss ich noch zwei NEWS-Texte fertig machen, die ihr auch irgendwo in dieser Ausgabe findet …
Finn Luca Zell auf Instagram: instagram.com/finnsmedjourney