Von Patrick Schwemling

Für den Laien ist es lediglich ein weißes Medikamentendöschen, das auf dem Küchentisch von Leonie Redeker steht. Für die 29-Jährige aus Porta Westfalica-Hausberge ist es viel mehr als das. Sie ist an der äußerst seltenen Nervenkrankheit Friedreich-Ataxie erkrankt – und in diesem Döschen befinden sich 90 Tabletten Omaveloxolon. Es ist das erste Arzneimittel, das für die Behandlung ihrer Krankheit zugelassen ist. Ein Meilenstein und Hoffnungsschimmer für die lebensfrohe Frau.

„Es ist seit dem 15. März in der EU zugelassen und kann seitdem verschrieben werden“, erklärt Leonie Redeker. Vor fast fünf Jahren hat sie erstmals öffentlich über ihre Krankheit gesprochen. Damals wie heute ist das Reisen ihr Lebenselixier. Hatte sie seinerzeit noch bei ihren Eltern in Minden gelebt, teilt sie sich seit einem Jahr die barrierefreie Wohnung mit ihren Freund Valerij Bograd. Seit etwa drei Jahren sind sie ein Paar, bereisen zusammen die Welt und trotzen gemeinsam auch den schweren Dingen des Lebens. Dazu gehört die Friedreich-Ataxie, die bei Leonie Redeker mit 14 Jahren diagnostiziert worden ist. Mit einer kleinen Unsicherheit beim Gehen und leichten Probleme mit dem Gleichgewicht fing es an. Viel dabei gedacht hatte sich die gelernte Bürokauffrau zuerst nicht. „Ich dachte, ich wäre einfach nur tollpatschig.“ Doch das war sie nicht, sie war erkrankt – und das an einer Krankheit, die heimtückisch ist und im Normalfall schnell voranschreitet. Sie sorgt nicht nur für eine muskuläre Schwäche, sondern auch für Sprachstörungen und einen verdickten Herzmuskel, der zu einer frühen Sterblichkeit führen kann.

 

Foto: Jenny Bartsch

 

Trotzdem macht Leonie Redeker ihren Schulabschluss, anschließend ihre Ausbildung. In den ersten Jahren nach der Diagnose halten sich die Beschwerden in Grenzen, erst 2014 nehmen sie zu. „Da brauchte ich den Rollstuhl oder einen Rollator schon mal. Ab 2018 war ich ständig darauf angewiesen“, sagt sie. Trotzdem arbeitet sie bis November 2018 in Vollzeit im Einkauf bei Porta Möbel, danach an vier Tagen in der Woche für insgesamt 25 Stunden in Teilzeit.

„Mir geht es gut“, sagt Leonie Redeker angesprochen auf ihren Gemütszustand. Ihr Partner Valerij ist beeindruckt von der Stärke und dem Lebensmut seiner Freundin. „Sie hat mir beigebracht, das Leben zu genießen.“ Doch nicht nur das – dank seiner Freundin hat er in den letzten drei Jahren Orte bereist, von denen er es sich zuvor niemals erträumt hätte. 2016 begann die Reiselust der 29-Jährigen so richtig und ist bis heute ungebrochen. „Ich habe nur 30 Urlaubstage, Leonie deutlich mehr“, sagt der Vertriebsingenieur, der in einer Vlothoer Firma arbeitet. Auch deshalb ging es für seine Freundin im März mit Mutter Sabine nach Costa Rica. Bei all der Freude und all den Reisen ist der Portanerin auch bewusst, dass sie eine bislang unheilbare Krankheit hat. „Doch ich mache das Beste daraus.“

Bereits 2021 hatte die Portanerin auf eine Petition aufmerksam gemacht. Diese richtete sich an die US-amerikanische Behörde FDA, die für die Zulassung von Medikamenten und Medizinprodukten verantwortlich ist. Darin wurde eine beschleunigte Zulassung gefordert – und so kam es auch. Im Februar 2023 wurde das Medikament in den USA zugelassen, im Februar 2024 folgte die EU-Zulassung des Arzneimittels gegen seltene Krankheiten.

 

Foto: Jenny Bartsch

 

Die Portanerin hat bereits im November 2023 die ersten Tabletten Omaveloxolon eingenommen, wie sie berichtet. „Ich habe an einer Härtefallstudie am Uniklinikum in Bonn teilgenommen“, sagt Redeker. Sie ist unendlich froh, dass die etwa 1.500 bis 2.000 Betroffenen in Deutschland nun damit behandelt werden können. Doch so einfach wie das klingt, ist es nicht. Es gibt Hürden – und offenbar sind diese finanzieller Natur. „Eine Packung reicht einen Monat und kostet etwa 30.000 Euro“, sagt Leonie Redeker und berichtet davon, dass es gar nicht so leicht sei, einen Arzt zu finden, der ihr das Medikament verschreibt. „Es darf nur von Fachärzten, in diesem Fall Neurologen, verschrieben werden“, erklärt sie. Ihr Neurologe vor Ort wollte sich noch beraten, sodass die Portanerin extra eine E-Mail verfasste, um zu erklären, weshalb sie das Medikament für sie als sinnvoll erachte.

„Ziel des Medikaments ist ja, dass es den Fortschritt der Krankheit verlangsamt“, sagt sie und glaubt, dass viele Ärzte noch nicht überzeugt wären. Sie selbst merke jedoch schon deutlich, dass es bei ihr anschlage. „Sowohl mein Physiotherapeut als auch mein Logopäde sehen das so“, erklärt sie. So sei ihre Aussprache flüssiger geworden, auch die Mobilität habe sich verbessert. Zuvor musste ihr wegen einer Fußstellung regelmäßig das Nervengift Botox in die Wade gespritzt werden, um dieser entgegenzuwirken. „Seit der Einnahme des Medikaments war das auch nicht mehr notwendig.“

Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) empfiehlt das Medikament für Erwachsene und Jugendliche ab 16 Jahren. Wie genau Omaveloxolon bei den Patienten wirkt, ist unbekannt. Dass es wirkt, konnte in einer klinischen Studie gezeigt werden. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen unter anderem erhöhte Leberwerte – so auch bei Redeker. „Das hat sich aber schnell bei mir gelegt.“ Mit ihrer lebensfrohen Art und den Eindrücken ihrer Reisen und ihres Lebens macht sie Betroffenen Mut. Sie hat viele Kontakte zu Friedreich-Ataxie-Patienten geknüpft, aber auch zu anderen Rollstuhlfahrern. Für die ist sie mit ihrer Lebensfreude ein Vorbild. Neulich hatten sie und ihr Freund von einem Pärchen Besuch. „Danach hat Leonie eine Nachricht bekommen, wie inspirierend sie und unser Leben ist“, sagt ihr Freund und blickt zusammen mit ihr auf die nächsten Abenteuer. Im Oktober geht es in die USA.

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Foto: Jenny Bartsch
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