Die Sonne geht in Minden um 8.34 Uhr auf. Das erste Licht im neuen Jahr wirkt wie der Druck auf die Resettaste. Alles beginnt irgendwie von vorne und was hinter uns liegt, scheint innerlich abgehakt. Das ist der Reiz eines Neujahrsmorgens, an dem alles rein und unverbraucht wirkt. Die Motivation ist bei den meisten von uns riesig. Wir freuen uns auf die kommenden zwölf Monate, in denen wir es wieder in der Hand haben, unser Leben zu bereichern. Bilder vom nächsten Urlaub schießen einem in den Sinn, von Begegnungen mit Freunden oder der Familie. Wir denken an Ostern, Grillabende, Ausflüge und an einiges mehr. Negative Momente? An die will in diesem Augenblick niemand denken – obwohl wir selbstverständlich wissen, dass es auch die gibt.

Rituale am ersten Morgen des neuen Jahres

Habt Ihr bestimmte Rituale, wenn es um den ersten Tag im neuen Jahr geht? Schon seit vielen Jahren starte ich mit einem Spaziergang durch den Ort in die kommenden zwölf Monate. Frühmorgens ist dann so gut wie nichts los und andere Leute habe ich dabei seit Langem schon nicht getroffen. Die meisten Menschen schlafen am Neujahrstag bis in den späten Vormittag. Ich nicht. Und es reizt mich immer wieder, an diesem Tag das Gegenteil von dem zu tun, was die meisten machen.

Und irgendwie gehöre ich auch zu den Menschen, die sich zum Start ins neue Jahr gute Vorsätze geben. Gleich vorneweg: mehr Sport. Ich will fit sein und mir ist auch bewusst, dass regelmäßige Bewegung nicht nur gesund ist, sondern auch ein gutes Körpergefühl schafft. In der Euphorie des Jahresbeginns ist für mich sonnenklar, dass ich es dieses Mal schaffe. Tatsächlich bleibe ich mit den Erwartungen immer wieder aufs Neue zurück. Warum das so ist? Keine Ahnung.

Vielleicht weil Neuanfänge im Grunde reinste Illusionen sind. Einfach alles hinter sich zu lassen, funktioniert weder beim Menschen noch in der Zeitrechnung. Auch 2023 können wir nicht tun, als hätte es 2022 nie gegeben. Jeder von uns hat seine eigene Vergangenheit, die nicht einfach so abgelegt werden kann. Jeder ist so drauf, wie er oder sie ist. Unsere Wesenszüge holen uns früher oder später wieder ein – beim Essen und Trinken, Rauchen oder auch beim faulen Herumliegen. Trotzdem finde ich es immer wieder gut, Vorsätze zu haben. Denn das signalisiert mir, dass ich an den Stellschrauben meiner Gewohnheiten an der ein oder anderen Stelle etwas justieren muss. Nur solange ich das auch weiß, habe ich überhaupt die Chance, etwas zu verändern.

Foto: Leonard Von Bibra – Unsplash

Vorsätze sind okay

Wer also seine Vorsätze wieder über Bord wirft, ist deshalb kein schlechterer Mensch. Vielmehr einer, der für sich selbst noch Luft nach oben will. Er verlangt in der Situation einfach nur zu viel von sich. Vielleicht sind das aber die Momente, in denen man sich selbst am besten versteht und weiß, wo die persönlichen Grenzen sind. Und die zu kennen, ist sicher ein Vorteil, der einen im Leben weiterbringt.

Mein Neujahrsritual, der morgendliche Spaziergang durch den Ort, dauert in aller Regel etwa zwei Stunden. Zum Schluss merke ich dann, wie das Dorf erwacht und mehrfach höre ich, dass irgendwo Jalousien hochgezogen werden. Dieses Geräusch unterbricht für einen Moment die Stille und es signalisiert, dass es weiter vorangeht. Die nächsten Wochen herrscht noch Winter, doch dann geht es ganz allmählich in die wärmere Jahreszeit über. Dann kommt Ostern, Pfingsten und dann spielt sich das Leben wieder mehr im Freien ab. Man mag es kaum glauben, wie schnell das alles passiert. Irgendwie fliegt die Zeit, je älter man wird. So was sagen übrigens sehr viele Menschen.

Und inzwischen werden auch die Tage schon wieder etwas länger. Am Neujahrstag geht die Sonne übrigens um 16.22 Uhr in Minden unter. Sieben Minuten später als noch am Heiligen Abend.

Schlagwörter featuredneujahrritual