news April 2019 | Kultur | 47
Das Interview führten Andrea Williams und
Nadine Schwan schriftlich via Facebook.
Sie ist am Bahnhof zu sehen, an Trafo-Häuschen
und ziert so manche Bushaltestelle: Seit Jahren
prägt die Graffiti-Kuh Mindens Stadtbild. Jetzt,
zehn Jahre nach ihrem ersten Erscheinen, stellt
der mysteriöse Sprayer seine Werke zum ersten
Mal aus. Uns hat er erzählt, wie es dazu kam und
wie die Kuh überhaupt entstanden ist.
Die Graffiti-Kuh ist überall in Minden und Umgebung
zu sehen. Jetzt stellst du deine Werke zum
ersten Mal aus. Wie kam es dazu, wer hatte die
Idee?
Ich hatte die Idee schon vor ein paar Jahren,
aber wie das so ist, kümmert man sich nicht und
schiebt es auf, obwohl Freunde von mir die Idee
auch begrüßt haben. Außerdem habe ich auch damit
gerungen und mich gefragt, ob das überhaupt
Sinn macht oder richtig ist, eine Arbeit, die komplett
in der Illegalität stattfindet, in einen Ausstellungskontext
zu überführen und womöglich
sogar Werke zu verkaufen. Ich habe immer noch
keine klare Antwort darauf und vielleicht gibt es
die auch nicht. Auf jeden Fall kann ich mir damit
nicht Stillstand in meinem Schaffen vorwerfen,
und das ist schon mal positiv.
Warum hast du gerade das Anne Frank als Ausstellungsort
gewählt?
Die Ausstellung sollte schon in Minden stattfinden,
weil hier am meisten Interesse besteht. Was
Ausstellungsflächen angeht ist die Stadt ja nicht
so groß aufgestellt. Außerdem muss ich auch sehen,
wie und an wen ich mich überhaupt wenden
kann. Das Anne Frank Haus ist ein toller Ort, wo
viel für junge und kreative Leute möglich ist. Man
kann dort auch seit einer Ewigkeit legal sprühen.
Und so kam dann irgendwie auch kein anderer
Ausstellungsort infrage.
Wie kann man sich die Ausstellung vorstellen?
Wie jede andere Kunstausstellung auch. Man
kann sich dort die Werke angucken. Bei der Vernissage
gibt es ein bisschen was zu trinken und
musikalische Untermalung.
Was gibt es dort zu sehen?
Mehrere Leinwände in unterschiedlichen Maltechniken,
Filmmaterial, der zweite Guss von der
Betonbüste und anderes.
Kann man deine Werke dort auch kaufen?
Ja, wer möchte, kann mir auch bestimmte Werke
abkaufen.
Wird man dich dort am 6. April auch treffen?
Wenn, dann nur als alte Frau verkleidet. Zumindest
werde ich mich da nicht hinstellen und sagen:
„Ich bin es.“ Einfach aus den Gründen, dass
ich mich mit vielen meiner Werke in der Illegalität
bewege.
Die Kuh gibt es schon seit mehr als zehn Jahren.
Wie ist das Motiv damals entstanden?
Ich habe die Kuh in der Grundschule das erste
Mal auf Papier gemalt und nie vergessen. Als ich
älter wurde und anfing, mich für Graffiti zu interessieren,
musste ich ja auch irgendwas malen.
Ich denke, ich habe sie dann wieder aufgegriffen,
weil sie einfach war und zeitlos sympathisch auf
mich wirkte, mit hohem Wiedererkennungswert.
Warum ist es gerade eine Kuh geworden? Hast du
eine besondere Verbindung zu
den Tieren?
Als Kind hat man alle Tiere gemalt,
die man in der Realität
oder auf Abbildungen gesehen
hat. Die Kuh, wie ich sie dargestellt
habe, hatte wohl die
ästhetischste Wirkung im Vergleich
zu den anderen Figuren. Heute betrachtet
ist es perfekt, dass es eine Kuh geworden ist. Das
Rind ist das bedeutendste Tier unserer Zeit.
Wie viele Kühe hast du bisher gesprayt?
Ich schätze mal so 250.
Was war das Aufregendste, was du mit der Kuh
bisher erlebt hast?
Sie in anderen Ländern und tollen Städten zu
sprühen. Mir fällt jetzt nicht das herausstechende
Erlebnis ein.
Zuletzt ist die Kuh als Beton-Skulptur aufgetaucht.
Erwartet uns da noch mehr?
Generell ist es interessant, auch andere Techniken
als Malerei im Streetart-Kontext auszuprobieren.
Da ist jetzt aber nichts Genaues geplant.
Wird es auch noch neue gesprayte Kühe in Minden
geben?
Das hoffe ich doch sehr.
Wonach suchst du den Ort für eine neue Kuh aus?
Da gibt es viele Punkte, die ich berücksichtige.
Beispielweise was das für ein Objekt ist, das ich
möglicherweise anmalen möchte und wie die Besitzverhältnisse
sind. Den Zustand der Wand und
das Material. Die Sichtbarkeit der Stelle ist auch
wichtig und wie hoch sie tagsüber und nachts
frequentiert ist. Außerdem interessieren mich
auch Stellen wegen des Fotos, da kann der Hintergrund,
aber auch das Bauwerk zum entscheidenden
Faktor werden.
Graffiti finden nicht alle Leute toll. Doch bei der
Kuh scheinen einige eine Ausnahme zu machen.
Liegt das am niedlichen Gesicht oder woran?
Das moderne Graffiti ist ja eigentlich das Malen
von Buchstaben von einem Pseudonym. Was ich
mit der Kuh mache, ist dann wohl eher Streetart.
Warum durchschnittliche Leute mit der Kuh oder
generell figurativer Streetart mehr anfangen können
als mit einem Graffitipiece, ist ganz einfach:
Es fehlen beim letzteren die Berührungspunkte
und das Hintergrundwissen. Bist du nicht in
der Szene, verstehst du einen ausgefeilten Style
gar nicht, kannst ihn nicht lesen und siehst die
mögliche Ästhetik nicht. Ist das Piece einfacher
gehalten und für die Person lesbar, machen die
Worte für sie keinen Sinn, da sie nicht weiß, dass
es sich dabei um einen bestimmten Writer oder
Crew handelt. Sowas Ähnliches hat man ja auch,
wenn Menschen, die, wenn es hoch kommt, einmal
im Jahr ins Kunstmuseum gehen, vor einer
abstrakten Malerei stehen und
sich fragen, was das soll. Eine
Kuh hingegen kennt jeder und
findet sie dann eben lustig oder
sonst was.
Was sagst du dazu, dass Leute
die Kuh oder auch andere Graffitis
für Schmierereien halten?
Das ist ziemlich dumm. Dieser Begriff „Schmiererei“
hat sich irgendwie so eingebürgert, um illegale
Graffitis zu benennen, aber eben auch zu
diskreditieren. Man verbindet eben gleich was
Negatives, wenn man dieses Wort hört. Von Medien
verbreitet, findet es dann Einzug im Wortschatz
des unmündigen Bürgers, der es, ohne
zu hinterfragen, nutzt und sich ein Graffiti wahrscheinlich
nicht mal wirklich anschaut. Ein Graffiti
ist gemalt, nicht geschmiert. Manchmal besser
manchmal schlechter, aber auf jeden Fall steckt
eine Maltechnik dahinter, die man erlernen und
verbessern kann. Außerdem macht sich ein Graffiti
Sprüher in der Regel ja auch Gedanken, was
er malt.
Wäre es noch reizvoll für dich, die Kuh auf der
Welt zu verteilen, wenn Graffiti legal wäre?
Ja sicher, ich mag es einfach, im öffentlichen
Raum zu malen und diesen mitzugestalten. Trotzdem
würde dann natürlich einiges verloren gehen,
da es deutlich einfacher wäre. Die Mission
fehlt dann, die das illegale Malen sicher auch
interessant macht.
www.instagram.com/thekuhlkid