news November 2019 | 19
„Optimierung ist nicht immer optimal“, sagt sie.
Der Druck, immer mehr Leistung bringen zu wollen,
überfordert in unserer digitalen Welt das menschliche
Gehirn. Mit dem Tempo eines Computers hält
der Homo Sapiens nicht Schritt.
Die Expertin rät, die eigenen Ansprüche an sich zu
überdenken. Viele Menschen leben nicht mehr im
Hier und Jetzt und hätten verlernt, den Moment zu
genießen. Wie oft kommt es vor, dass jemand bei
einem guten Essen im Lokal sitzt – und bereits an
den nächsten Termin denkt, anstatt sich über das
gute Essen zu freuen. „Oder man bügelt und ist
gedanklich schon ganz woanders“, sagt Susanne
Wehrenberg. Es gelte, den Moment wahrzunehmen.
Das haben wir verlernt und die Ergotherapeutin
spricht davon, dass wir immer mehr in einer anderen
Spur unterwegs sind. „Wir machen immer etwas
anderes, als das, was wir gerade denken“, sagt sie
und erzählt von einer uralten Philosophie von Mönchen.
Die lebten den Augenblick: „Wenn ich gehe,
gehe ich. Wenn ich stehe, stehe ich.“ Ein Satz, der
angesichts der Entwicklung unserer Gesellschaft
sehr viel tiefgreifender ist, als es zunächst wirkt.
Susanne Wehrenberg rät, sich Ruheinseln im
Tagesablauf einzubauen. Beispielsweise nach
einem Termin bewusst eine gewisse Zeit für sich
fest einzuplanen, sei ein vielversprechender Weg.
Das sollten klare Einheiten sein, die der eigenen
Erholung dienen. Ratsam sei es auch, die Momente
für sich bewusst zu erleben. Die Schönheiten
der Natur wahrzunehmen, könne sehr entschleunigen.
Einfach mal durch den Wald laufen und die
Blätter auf den Bäumen anzusehen, wirke schon
erholsam. Entscheidend sei nur, dass diese Momente
die eigenen sind.
Sich selbst zu spüren, haben die Menschen
nach Worten von Susanne Wehrenberg verlernt.
Es zählen im Leben nicht die Botschaften von
außen, sondern die eigenen Bedürfnisse, erklärt
sie. Selbstverständlich weiß die Ergotherapeutin,
dass niemand diese Philosophie konsequent
leben kann, allerdings: Sich klarzumachen, dass
einem die eigenen Bedürfnisse ganz wichtig sind,
sei wichtig. Man lebt nicht für andere.
„Entschleunigung heißt, das Tempo zu reduzieren“,
sagt sie. Der Mensch sei zu schnell unterwegs
– viel schneller, als es seine körperliche
Konstitution zulässt. Die sei auf täglich maximal
40 Kilometer Laufen und körperliche Arbeit ausgerichtet.
Sie spricht vom langsamen Atmen, das
sofort wirkt. Fünf Sekunden durch die Nase einatmen,
fünf Sekunden ausatmen. Und das unter
der Einbeziehung des Zwerchfells. Wer das ein
paar Mal macht, wird bereits ruhiger. Die bewusste
Langsamkeit sorge für Entspannung, Ruhe und
führt zur Ausgeglichenheit, nach der wir uns so
sehnen. „Dafür kann man sich Zeiten nehmen,
die man sich am Handy programmiert“, sagt
Susanne Wehrenberg. Rituale für sich seien etwas
Wertvolles. Entscheidend sei aber, das eigene
Verhalten zu ändern.
Foto: Privat
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Melitta