54 Jahre „auf Achse“
Entsorgungsunternehmer Hans-Christoph Stahlhut tritt mit 80 Jahren in den Ruhestand.
Im Gespräch erzählt der Mindener von seiner Branche, in der er immer mit Leib und Seele gearbeitet hat.
Einen PC hat er in seinem Berufsleben nie bedient. Ein Smartphone auch nicht und die Telefonnummern seiner meisten Kunden hat Hans-Christoph Stahlhut im Kopf. 80 ist er und seit Juli im Ruhestand. 54 Jahre fuhr der Unternehmer seine Mulden mit dem Laster zu den Kunden, holte sie ab und entsorgte den Müll. „Täglich waren das immer um die 200 Kilometer“, erzählt der Mindener im Gespräch mit news – Das Magazin. Nun ist damit Schluss und es beginnt für ihn ein neuer Abschnitt. Ein Alltag, an den er sich gewöhnen muss.
Rentnerdasein? Wird in dem Alter auch mal Zeit, könnte man denken, allerdings: Der Mann aus Dankersen hätte wohl noch weiter gemacht, wenn er seinen Führerschein ein weiteres Mal hätte verlängern können. Alle fünf Jahre sind in der Branche der Lkw-Fahrer die medizinischen Untersuchungen vorgeschrieben. „Ich habe zuletzt mit einem Auge etwas Probleme bekommen“, sagt Hans-Christoph Stahlhut. Risiken will er keine eingehen und erst recht niemanden im Verkehr gefährden. Von sich aus zog er deshalb den Stecker, stieg aus dem Führerhaus und verkaufte zugleich seine Firma an den Entsorger PreZero aus Porta Westfalica, der künftig auch das Betriebsgelände und die Räume „Am Alten Weserhafen 3“ in Minden mit nutzen will.
Hucka, wie ihn die meisten nennen, ist in diesen Wochen noch mit der Abwicklung seiner Firma beschäftigt. „Noch fühlt es sich nicht nach Rente an“, sagt er, während er mit seinem Bürostuhl ein wenig vom Schreibtisch zurückrollt. An dem großen Tisch mit der hellbraunen Holzplatte hat nach seinen Worten bereits der Manager Jürgen Schrempp gesessen, der von 1995 bis 2005 Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG und der Daimler-Chrysler AG war. Irgendwann schmiss Mercedes das Möbelstück raus, weil es nicht mehr zeitgemäß erschien. Für Hans-Christoph Stahlhut, der es entsorgen sollte, war es hingegen noch bestens in Schuss. „Unser Mobiliar ist überwiegend aus Müll“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Die Sofagarnitur im Besprechungszimmer, diverse Dekoartikel oder auch die Schränke.
Der Satz sagt viel über die Lebenseinstellung und Philosophie des Entsorgungsunternehmers, der sich nach eigenen Worten bewusst immer klein gehalten hat. Mit zwei Lastwagen war sein Fuhrpark zwar verhältnismäßig klein, dafür die Zahl der treuen Kunden umso größer. Die Unternehmen Melitta und WEZ setzten beispielsweise bis zum Schluss auf seine Leistungen und im Gespräch ist spürbar, mit welcher Leidenschaft er fünfeinhalb Jahrzehnte in seiner Branche gearbeitet hat. „Ich fuhr mit dem Laster durch die Gegend, hörte Musik und die Leute freuten sich, wenn sie mich sahen, weil ich ihren Müll abholte“, sagt er. Das war sein Beruf, aber auch Berufung.
Hucka kennt die Entsorgungswirtschaft noch aus der Zeit, als alles etwas anders zuging. Recycling war beispielsweise 1966 noch kein Thema und in den Dörfern gab es noch die Schuttlöcher, in die alles hineingeworfen wurde. Er, der zunächst zweieinhalb Jahrzehnten ganz auf das Altpapier setzte und erst danach auch andere Abfälle entsorgte, sieht die Entwicklung in seiner Branche positiv. Es sei richtig, dass Abfälle als Rohstoffe gesehen werden und so viel wie möglich wiederverwertet wird. Und die Frage, ob er glaubt, dass die Menschen in rund 50 Jahren womöglich überhaupt keinen „Müll“ mehr produzieren, beantwortet er optimistisch. „Denkbar wäre das.“
Bis zum letzten Arbeitstag hielt Hans-Christoph Stahlhut an einem Ritual fest. Punkt 11 Uhr saßen er und sein Sohn Christoph, der seit zwölf Jahren mit im Unternehmen war, Zuhause beim Frühstücken. Kaffee, Brötchen, Wurst und Marmelade waren jedoch nur der eine Grund. „Wer bei uns bis 11 Uhr anrief und bestellte, wurde noch am gleichen Tag beliefert“, sagt er. Daran habe er festgehalten, obwohl die technischen Kommunikationsmöglichkeiten im Internetzeitalter längst auch andere Regeln zugelassen hätten. Aber warum sollte man etwas ändern, das gut läuft? Hucka hat die Antwort für sich gefunden.
Angefangen hat Hans-Christoph Stahlhut als Tankstellenbetreiber in Leteln. Das war 1966. An der Abzweigung zur Aminghauser Straße befand sich das Gelände, das inzwischen ganz anders genutzt wird. Nebenbei beschäftigte er sich seinerzeit mit der Entsorgung von Altpapier, was für ihn kein großer Weg war. Die Firma Holler, die auf diese Entsorgungssparte spezialisiert ist, lag fast in der Nachbarschaft. Irgendwann gegen Ende der 1970er-Jahre rückte die Entsorgung von Altpapier immer weiter in den Vordergrund und das Geschäft mit der Tankstelle in den Hintergrund. Konsequenterweise setzte Hans-Christoph dann nicht mehr auf Benzin, sondern auf das Papier. Und sein Unternehmen konnte sich seither in der Erfolgsspur halten. „Unter anderem auch, weil sich unsere Kunden immer zu 100 Prozent auf uns verlassen konnten.“ So habe er es geschafft, sich in der zuletzt immer komplexeren Branche gegen die Riesen zu behaupten.
Was sind jetzt seine Pläne? Er ist an Grundstücksgesellschaften beteiligt und kann sich keinesfalls vorstellen, jemals Langeweile zu bekommen. Auf ein paar Dinge freut sich Hans-Christoph Stahlhut auf jeden Fall schon sehr. Er kann sich den Tag frei einteilen und endlich auch mal drei Wochen am Stück in den Urlaub. Entspannt und ohne an die Firma denken zu müssen. „Das will ich jetzt genießen.“ Ziele steckt sich der Neu-Ruheständler trotzdem noch. So schnell wie nur möglich möchte er den Umgang mit PC und Smartphone lernen.